Zwischen Virus- und Prüfungsangst – Abitur in Zeiten der Pandemie

Zwischen Virus- und Prüfungsangst - Abitur in Zeiten der Pandemie

Zwischen Virus- und Prüfungsangst – Abitur in Zeiten der Pandemie

Ein prägendes Momentum im Leben vieler junger Menschen ist der Erhalt der Allgemeinen Hochschulreife. Wenn dies zumeist der Anlass für rauschende Feste und Freude allerorten ist, denken Lernende und Lehrende dieser Tage auch in anderen Dimensionen. Schüler*innen fragen sich: „Was mag mein Abitur im Kontext von Ausbildung, Studium und Beruf überhaupt einmal wert sein? Könnte nicht manch ein HR-Profi denken, dass die erbrachten Leistungen wohlwollender als verdient bewertet wurden, eingedenk all der Widrigkeiten, die es in der Corona-Pandemie durchzustehen galt? Experten sind sich in dieser Frage ebenso uneins.

Bundesweiter Anstieg des Abiturnotenschnitts

Im Vergleich zum Vorjahr wurden in den meisten Bundesländern deutlich bessere Gesamtnoten im Schnitt erreicht. In Bayern konnte gar die Allzeit-Bestmarke in diesem Bereich unterboten werden. Wie passt das mit den Entbehrungen, die die Pandemie gerade auch jungen Menschen abverlangt, zusammen? Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, betont, dass ein „Corona-Abitur“ keineswegs ein Trostpflasterabitur, der Leistungssprung, der in den meisten Bundesländern festzustellen war, allerdings bemerkenswert sei. Gründe für diesen Umstand sieht er unter anderem in der heterogenen Bildungslandschaft der Republik. Erleichterungen in der Leistungserhebung, die durch pandemiebedingt ausfallenden Unterricht oder dem unsteten Wechsel zwischen Präsenz- und digitaler Lehre, durchaus zu rechtfertigen sind, wurden in jedem Bundesland anders gestaltet. Dort sei manches Mal zu viel des Guten getan worden, so Meidinger.

Situation im Kampf um Studienplätze weiter zugespitzt

Auch wenn man jungen Menschen aufgrund all ihrer Verluste durch die Pandemie gute Abschlüsse durchaus gönne, dürfe man nicht die Augen davor verschließen, dass durchgängig gute Noten nicht nur positive Aspekte mit sich bringen, so Meidinger weiter. Der ohnehin schon aufgeheizte Wettkampf um begehrte Studienplätze verschärft sich durch mehr Abiturient*innen mit guten Abschlüssen. Da die pandemische Lage wenige Optionen bietet, um beliebte Möglichkeiten zur Auszeit nach dem Abitur wie Work and Travel oder ähnliches wahrzunehmen, bewerben sich in vielen Fällen mehrere Jahrgänge auf ohnehin knappe Studienmöglichkeiten. Ein nicht ganz fairer Umstand für die besagten Heimkehrenden. Auch die Zulassungsverfahren werden durch vermehrt bessere Noten stärker belastet. Durch Einführungen von zusätzlichen Auswahlverfahren neben dem Notenschnitt, könnten Marginalisierte benachteiligt werden, die vormals jedoch noch exzellente Leistungen erbrachten.

Altlasten aus Prä-Pandemischen Zeiten

Sind genannte Umstände Begebenheiten, die das Abitur als zunehmend entwertet erscheinen lassen, muss betont werden, dass die Covid-19-Pandemie einmal mehr auch in diesem Bereich wie ein Brennglas auf bereits bestehenden Missständen wirkt. Die Überbelastung der Universitäten oder zunehmend bessere Notenschnitte bei weniger Leistungsdichte sind Phänomene, die bereits vor der Corona-Pandemie im deutschen Bildungssystem eine Rolle gespielt haben. Wie auch in anderen Bereichen des Sozialen sollten hier in Zukunft Dinge grundlegend überdacht werden, wie etwa das Bund-Länder-Verhältnis in Bildungsfragen, damit Leistungen einheitlich und vergleichbar bewertet werden können.

Besondere Qualifikationen und positive Resonanz vom Arbeitsmarkt

Frederick Dauber, Pädagoge und freier Dozent für „soft skills“, widerspricht hingegen der Annahme, dass die Bundesländer sich auf unterschiedlichem Stand befänden, was die Voraussetzungen im Bildungsbereich anginge. Zudem betont er, dass Schüler*innen zudem während des Lernens in der Pandemie zusätzliche Qualifikationen erlernt hätten. Ein routinierter Umgang mit IT, verbessertes Zeitmanagement, Multitasking und nicht zuletzt eine größere Resilienz Stress und Misserfolgen gegenüber hätten Abiturient*innen im pandemischen Lernumfeld zu Erfolg geführt. Zudem spielen sicherlich auch verbesserte digitale Lernangebote wie Mathe Nachhilfe als Online Angebot eine Rolle in der Verbesserung einzelner Leistungen.

Sogenannte „soft skills“ sind nicht nur für wichtige Lebensbegleiter, sondern auch als Kompetenzen am Arbeitsmarkt äußerst beliebt. Die Meinungen von IHK-Beauftragten stimmen mit diesem Bild überein. 36 Prozent der eingestellten Azubis waren im letzten Jahr Abiturient*innen und Prognosen sehen ähnliche Werte in den kommenden Jahren voraus. Von einer Entwertung kann also keine Rede sein.